Digitale Identitäten im Koalitionsvertrag

Wie unter einem Brennglas wurden während der Covid-Pandemie die Herausforderungen der Digitalisierung öffentlicher und privater Dienstleistungen für Bürger:innen und Unternehmen sichtbar. Ob für den Kontakt zum Amt, für den digitalen Fernunterricht, das Arbeiten aus dem Home-Office heraus: Der Großteil der Bevölkerung war mehr denn je auf digitale Prozesse angewiesen. Eine übergreifende, leicht nutzbare und sichere Lösung zur digitalen Identifizierung und Authentifizierung zur Nutzung dieser Prozesse stand dabei bislang nicht zur Verfügung. Die Online-Ausweisfunktion des Personalausweises konnte bisher nur für wenige Dienste eingesetzt werden. Ähnlich verhält es sich mit den Lösungen privater Anbieter.

Der Aufbau eines Ökosystems interoperabler digitaler Identitäten war daher schon vor der Bundestagswahl eine politische Priorität. Die letzte Bundesregierung, stieß dazu verschiedene Initiativen an, wozu auch das Schaufenster-Programm “Sichere Digitale Identitäten” gehört. Wie wird es nun unter der neuen Bundesregierung weitergehen?

Zur Beantwortung dieser Frage hat die Begleitforschung Sichere Digitale Identitäten die Kernaussagen des Koalitionsvertrags hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Zukunft digitaler Identitäten in Deutschland und Europa ausgewertet.

Unterzeichnung des Koalitionsvertrages der 20. Wahlperiode des Bundestages

Das Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung 

Digitale Identitäten sind auch in der neuen Regierung ein Schlüsselthema der Digitalisierung und werden im Koalitionsvertrag ausdrücklich erwähnt:

„Ein vertrauenswürdiges, allgemein anwendbares Identitätsmanagement sowie die verfassungsfeste Registermodernisierung haben Priorität.“ (Zeile 406)

Damit bekräftigen die Parteien ihr Vorhaben, breit anwendbare Lösungen für digitale Identitäten zu fördern. Allerdings ist die Formulierung sehr allgemein gehalten, nachdem eine präzise Definition der Begriffe „vertrauenswürdiges, allgemein anwendbares Identitätsmanagement“ offenbleibt. Daneben ist die Ausgestaltung der geplanten „verfassungsfeste[n] Registermodernisierung“ für die Entwicklung digitaler Identitäten von grundlegender Bedeutung und wird genau zu beobachten sein.

Rechtliche Digitalisierungshemmnissabbauen durch Generalklauseln und Digitalcheck 

Der Erprobung und Einführung digitaler Identitäten steht teils die Rechtsordnung entgegen, da diese in vielen Fällen noch allein auf physische Nachweise in Papierform setzt. Diese Herausforderung wird im Koalitionsvertrag adressiert:

„Digitalisierungshemmnisse (Schriftform u. a.) bauen wir mittels Generalklausel ab und vereinheitlichen Begriffe (z. B. „Einkommen“)“. (Zeile 405)

Diese Formulierung birgt große Chancen, denn sie eröffnet die Möglichkeit, derzeit noch bestehende rechtliche Hürden großflächig abzubauen. Gleichwohl ist die Entwicklung einer solchen Generalklausel eine juristische Herausforderung, deren Umsetzung abzuwarten ist.

Weiterhin soll die Gesetzgebungsqualität durch ein neues Verfahren verbessert werden, dem „Digitalcheck“, der durch den Koalitionsvertrag folgendermaßen definiert wird:  

„Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens soll die Möglichkeit der digitalen Ausführung geprüft werden (Digitalcheck).“ (Zeile 202)

Eine mögliche Implementierung von Lösungen für digitale Identitäten könnte ein wichtiger Teil dieses Digitalchecks werden.

Reallabore als Freiraum für Innovationen 

Bislang gab es die Option mittels Experimentierklauseln oder Reallaboren ein rechtlich geeignetes Umfeld für Use Cases zu schaffen. In Bezug auf Reallabore präzisiert der Koalitionsvertrag folgendermaßen:

„Wir werden zeitlich und räumlich begrenzte Experimentierräume ermöglichen, in denen innovative Technologien, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle unter realen Bedingungen erprobt werden können.“ (Zeile 585).

Damit könnten Reallabore als rechtliches Instrument für die Durchführung von Use Cases in Zukunft weiter an Relevanz gewinnen.

Für Reallabore und Experimentierklauseln sollen in diesem Sinne rechtliche Anpassungen vorgenommen werden, um deren Umsetzung zu erleichtern:

„Wir werden ein Reallabor- und Freiheitszonengesetz schaffen, das einheitliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für Reallabore bietet und neue Freiräume zur Erprobung von Innovationen ermöglicht. Das Gesetz soll unter anderem übergreifende Standards für Reallabore und Experimentierklauseln gesetzlich verankern, die Unternehmen, Forschungsinstituten und Kommunen attraktive Bedingungen bieten und gleichzeitig regulatorisches Lernen fördern.“ (Zeile 933)

Diese Einordnung von Reallaboren und Experimentierklauseln knüpfen an die bisherige Haltung des Bundeministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz in diesem Bereich an.  

Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten für die Schaufensterprojekte, bereits identifizierten Rechtsänderungsbedarf einzubringen, um bestimmte Anwendungsfälle mithilfe von Experimentierklauseln umsetzen zu können.  

Offene Standards weiter im Fokus: Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt 

 Auch auf der technischen Ebene sollen Regierungsprojekte künftig neuen Kriterien genügen:

 „Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ (Zeile 407)

Neben Open Source in der technischen Umsetzung wird auch auf Anwendungsseite ein Recht auf Verschlüsselung im Koalitionsvertrag verankert:

„Wir führen ein Recht auf Verschlüsselung […] ein.“ (Zeile 433)

Hier soll das Vertrauen der Bürger in IT-Systeme durch Open Source und verschlüsselte Kommunikation gestärkt werden.

Diese Kriterien sollten zudem bei der Ausgestaltung der IT-Sicherheitsarchitektur für die Projekte adressiert werden.

Ein europäisches Ökosystem als Zukunftsvision

Neben der operativen Ebene rund um das technische und rechtliche Umfeld wirft der Koalitionsvertrag auch einen Blick auf das Big Picture, die digitale Souveränität:

„Darüber hinaus sichern wir die digitale Souveränität, u. a. durch das Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie das Setzen auf offene Standards, Open Source und europäische Ökosysteme, etwa bei 5G oder KI.“ (Zeile 438)

Dies hat auch Implikationen für die Schaufenster: Identitätslösungen sollen weiterhin technische Interoperabilität gewährleisten und auf offenen Standards aufbauen.

Insgesamt wird hier auch das Ziel deutlich, die Digitalisierung europäisch auszurichten. Als Kernstück dieses Vorhabens wird hier das Ziel eines europäischen Ökosystems bekräftigt. Ein solches, umfassenderes europäisches Ökosystem für digitale Identitäten bahnt sich mit der durch die Kommission angestrebten Novellierung der eIDAS-Verordnung bereits an: Dieser groß angelegte und durchschlagende Rechtsrahmen wird für die Zukunft der digitalen Identitäten eine überragende Rolle einnehmen.

Digitalisierung von Fahrzeugdokumenten, elektronische Patientenakte und e-Rezept in Planung 

Für die Umsetzung einzelner Anwendungsfälle sind die im Koalitionsvertrag angekündigte Digitalisierung von Fahrzeugdokumenten (Zeile 1692) sowie die Bemühungen um eine beschleunigte „Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezeptes“ (Zeile 2760) wichtig.  Durch die gesetzgeberische Unterstützung kann die Umsetzung dieser Use-Cases noch schneller realisiert werden.

Neue Aufgabenverteilung in den Ministerien verkündet  

In der kommenden Legislaturperiode werden Regierungsinitiativen im Rahmen einer neuen Kompetenzverteilung stattfinden.

Dabei bleiben die Schaufensterprojekte anscheinend in der Hand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Die Kompetenzen in Bezug auf eIDAS scheinen auf das Bundesministerium für Digitales und Verkehr überzugehen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik bleibt derweil genauso im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wie die Kompetenzen für das Personalausweiswesen und das Onlinezugangsgesetz. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll weiter der Kontrolle des Bundesinnenministeriums unterliegen, allerdings in Zukunft “unabhängiger” aufgestellt werden. (Zeile 441)

Fazit: Das konkrete politische Handeln ist entscheidend

Die im Koalitionsvertrag genannten Ziele führen den bislang eingeschlagenen Weg der Digitalisierung fort und präzisieren dazu die Vorgehensweise. Dies kann Regierungsprogrammen zur Digitalisierung, wie dem Schaufensterprogramm, im Hinblick auf die noch ausstehende Beseitigung rechtlicher Hürden zuträglich werden. Insbesondere durch die Generalklausel und die Planung eines Reallabor- und Freiheitszonengesetzes wird ein politischer Wille deutlich, die Umsetzung der Anwendungsfälle zu unterstützen.

Bei allem (durchaus angebrachten) Optimismus ist dabei stets zu beachten, dass diese Formulierungen im Koalitionsvertrag teils noch recht unbestimmt sind. Diese lassen sich eher als strategische Ziele verstehen, deren konkrete Ausgestaltung sich im Rahmen der angekündigten Gesetzgebungsverfahren noch zeigen wird.

Deutlich wird aber, dass sich die neue Regierung die Errichtung einer zeitgemäßen digitalen Infrastruktur und die Stärkung der digitalen Souveränität von Bürgerinnen und Bürgern als Schwerpunktaufgaben für die kommende Legislaturperiode gesetzt hat. Dabei können Schlüsseltechnologien wie digitale Identitäten eine entscheidende Rolle spielen.

Konstantin Schaarschmidt
Mitglied des Fachteams Recht und Politik in der Begleitforschung